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   Laudatio zur Ausstellung ZWEIKLANG

Laudatio zur Ausstellung ZWEIKLANG

Ganz herzlich begrüße ich Sie zur Ausstellung „Zweiklang“ an diesem bezaubernden Musenort an der Havel, zwischen den alten Bäumen, inmitten der Berlin-Potsdamer Kulturlandschaft! „Zweiklang“ bringt neuere Kunstwerke der Potsdamer Malerin Linde Kauert und der Berliner Bildhauerin Gisela Eichardt in einen spannungsvollen Zusammenhang.

Spannungsvoll, weil es auf mich auf den ersten Blick so wirkt, als haben die farbintensiv-expressiven Arbeiten von Linde Kauert wenig zu tun mit den in sich ruhenden, vornehm-klassisch wirkenden Skulpturen von Gisela Eichardt.

Und doch entsteht zwischen den beiden ein atmosphärisch dichter Dialog, der beide Arten zu arbeiten zur vollen, sich gegenseitig steigernden Wirkung kommen lässt. Im Folgenden versuche ich, dem „Warum“ und dem „Woher“ dieser Wirkung nachzuspüren und meine Gedanken dazu in Worte zu fassen. Das ist keine leichte Aufgabe, zumal ein Zitat von Gisela Eichardt aus ihrem Katalog da nicht gerade anspornend wirkt: „… bei meinen figürlichen Arbeiten steht nicht der Porträtcharakter im Vordergrund, vielmehr das Erfassen des Wesens einer Person, das nicht Beschreibbare. Es ist das Vertraute im fremdem Gesicht, was ich suche. Die Morphologie ist nur die Form.“

Da habe ich natürlich einen wunderbaren Ansatz zum Widerspruch: Nur die Form? Das ist es ja gerade, das strahlen die Köpfe und Figuren – seien sie klein wie die Bronzen oder fast lebensgroß auf den Sockeln – ja aus, dieses langmütige, sorgfältige Herausarbeiten der Form aus dem Material, das immer wieder überprüfen des Blicks, der die schaffende Hand führt und kontrolliert, dieses bedächtige Auftragen von zarten, lasierenden Farbschichten auf den Rohling, wenn die Form steht, aber der Ausdruck noch geschaffen werden muss.

Eine solche erhabene Aura entsteht nicht aus einer spontanen Aktion oder dem schnellen, intuitiv erfasst und ausgeführten Impuls. Eine solche Ausstrahlung von seelenerfüllter Intensität, so viel Charakter entsteht nur aus der Verbindung von geschultem Schauen und dem trainierten handwerklichen Können, einer Anteil nehmenden Lebenserfahrung und der Beherrschung der künstlerischen Mittel, die hier zusammen wirken und solche sehr besonderen Werke hervorbringen. Sie zeigen uns das Humane, das alles Menschliche verbindet und den individuellen Charakter überstrahlt.

In diesem Sinne sehe ich die Arbeiten von Gisela Eichardt viel eher in der idealistisch-klassischen Tradition als in der Verbindung zur Romantik eines Novalis wie sie der Museumsdirektor Kai Uwe Schierz in seinem Katalogbeitrag zu Gisela Eichardt dargestellt hat. Aber das sind letztlich akademische Thesen, die den ausdrucksstarken, für sich selbst sprechenden Geschöpfen vor unseren Augen nichts anhaben können.

Eine Ausdrucksstärke ganz anderer Art zeigen uns die Arbeiten von Linde Kauert. Sie erleichtert es dem Betrachtenden den Inhalt ihrer Arbeiten zu erschließen, in dem sie – zumindest bei den grafischen Arbeiten – den jeweiligen Titel unter die Bildfläche schreibt. Aber das Inhaltlich-Erzählerische ist nur die eine Seite ihrer Blätter, die in der Regel nicht für sich stehen, sondern in einem zyklisch-narrativen Zusammenhang.

So gehören die Radierungen im ersten Raum zu einer „künstlerischen Auseinandersetzung über Freundschaft in der Diktatur“. Sie beziehen sich auf einen unveröffentlichten Text von betroffenen Menschen, mit denen die Künstlerin seit vielen Jahren im engen Kontakt steht.

Linde Kauert hat eine jahrelange Beschäftigung mit „Bildern zur Literatur“ hinter sich gelassen, von Rilke bis Eva Strittmatter gab es bezaubernde Malereien zu Gedichten, Märchen und anderen Prosatexten von historischen oder lebenden Autor*innen.

Bei „Frühstück an der Mauer und die Stasi war dabei“ handelt es sich jedoch um einen Text, der aus der Lebenswirklichkeit von nahe stehenden Betroffenen kommt und in diese zurückwirkt, so dass das geplante Buch nicht veröffentlicht werden kann.

Es bleiben diese Bilder, die nicht nur dieses dramatische Thema dokumentieren, sondern für die Künstlerin auch einen Höhepunkt in einer neuen Schaffensperiode markieren; hat sie sich mit der Radierung als künstlerischem Ausdrucksmittel doch erst vor ein paar Jahren einen neuen technischen Bereich erobert. Wer ein bisschen weiß, wie Radierungen entstehen, kann verstehen, dass diese Art zu arbeiten erhebliche Köperkraft und eine gewisse kämpferische Aggressivität bedeutet.

Man bearbeitet Metallplatten mit harten Graviernadeln und metallenen Ritzwerkzeugen, man hantiert mit ätzenden Säuren, das bedeutet Anstrengung und kontrollierte Mühe, erfordert aber auch Umsicht und Vorsicht und passt somit angemessen zu den schweren Themen der Zeit, mit denen sich Linde Kauert seit einigen Jahren beschäftigt.

Im zweiten Ausstellungsraum finden wir eine Gruppe von drei Blättern, von denen zwei mit „Psalm 69,2“ beschriftet sind. Ein Blick in den Psalter lässt uns den Satz: „Gott, hilf mir! Denn das Wasser geht mir bis an die Kehle.“ finden und wir sind mitten in den Dramen unserer Gegenwart, denn im Mittelmeer ertrinken täglich weiter Mensch, auch wenn der Krieg in Europa zur Zeit die meiste Aufmerksamkeit bindet.

Das große Gemälde trägt den Titel „Die unsichtbare Dimension“ und ist erst vor ein paar Wochen vollendet worden. Es gehört zu einem Zyklus von Arbeiten, die von mikroskopischen Aufnahmen inspiriert worden sind. Linde Kauert ist nicht die einzige Künstlerin, die von dem Blick durch das Okular eines Mikroskops angeregt wurde. Schon die Künstler des frühen 20. Jahrhunderts – Picasso und vor allen Dingen die Surrealisten Miro und Dali – ließen sich von diesem Blick in eine andere Welt verzaubern.

Damit sind wir bei dem, was die Kunst für uns so unverzichtbar macht, wenn das Humane nicht verloren gehen soll: Gisela Eichardt zeigt uns das Unbeschreibbare, Linde Kauert das Unsichtbare und ich kämpfe um das Sagbare angesichts des Sichtbaren.

Ich danke Ihnen fürs Zuhören, wünsche uns allen viel Freude beim Betrachten der Ausstellung und uns allen noch einen schönen Sommerabend.

Berlin, 2. Juli 2022                                                                                                                          Dr. Brigitte Hammer